Michael Wüthrich
1991
Als Kind träumte ich davon, ein Jugendlicher zu sein, als Jugendlicher vom Erwach-sensein. Und nun, als junger Erwachsener, sehne ich mich nach der Kindlichkeit und ihren offenen Augen. In der Schule ging es um die Berufswahl, in der Lehre lernte ich für etwas zu arbeiten und als Angestellter beobachtete ich dann, wie und warum wir vollends funktionieren sollen. Dies wollte ich nicht. Heute erkenne ich, dass ich in jener Zeit eher selten in der Gegenwart lebte. Dennoch ist die Sehnsucht nach Frei-heit, Zeit, Unbekümmertheit und die Neugier geblieben. Also ausflippen, schräges Leben, Wein, Weib und Gesang? Klar. Aber nein:
Mönch!
Ich will mich kennenlernen, möchte Zeit für die Auseinandersetzung mit mir und der Welt, aber auch Ruhe finden. Raum schaffen für Kultur, unverzweckten Sinn ent-decken, der bedingungslosen Liebe näher kommen und, schliesslich bin ich jung, auch radikaler denken und handeln. Sex, Drugs, Rock'n'Roll, Karriere, Wissen, Spiritualität, Reisen, von allem ein wenig, auf allen Hochzeiten tanzen? Nein, dachte ich mir, "weniger isch meh"! Seither leide ich mich durch den Dschungel jener Bedürfnisse, die meist keine sind.
Das derzeitige Leben als Mönch ist meine Absage an die moderne Sklaverei aus Zeitnot und Materialismus. Lieber will ich zu Bewusstsein gelangen, als halbblind durch die Weiten der Welt zu hetzen und suche Achtsamkeit, anstatt des unsorg-fältigen Umganges, den wir auf allen Frequenzen betreiben. Etwas bescheidener zu werden, wäre mein Wunsch, ein bisschen selbstloser und damit offenherziger, mein Ideal. Werde ich so unmittelbarer und wach in der Gegenwart leben können, weniger von jenen Ängsten getrieben, die wir alle teilen?
Während ich Indien, Nepal und die heimischen Gegenden bereiste, stellte ich mir wiederholt die Frage, wie diese kompromissarme, bewusste und offene Lebensweise, in den späteren Alltag zu retten wäre. Kann ich die Erfahrungen im sicherheitsbehin-derten Tagestrott umsetzen und weiterentwickeln, ohne widersprüchlich zu handeln und ein zwiespältiges Leben zu führen? Diese Frage hatte Konsequenzen, nämlich die im Zwischentitel da oben.
Als Mönch bin ich bereit für das Leben unter Brüdern, die Vertrautheit und Angst-losigkeit in tiefen Gesprächen, die Ausrichtung auf das Unsagbare, das wir suchen, uns wesentlich beeinflusst und nebenbei einen verspielteren Umgang auch mit ernsten Dingen nach sich zieht. Ich verstehe Gott nicht als Antwort, lieber als Frage. Nicht zu wissen ist doch irgendwie faszinierender?
Du siehst, die ganze Tiefe vermag ich hier nicht auszubreiten. Aber da unten findest du meine Mailadresse …